[Grußwort] [Vorwort]
Grußworte 

Der erste grenzüberschreitende Skulpturenweg Europas ist Wirklichkeit geworden. Knapp ein Jahr nach der Idee entstand, beinahe in rekordverdächtiger Zeit, ein wahres Kleinod in unserer Region.
Die Stadt Kaiserstuhl und die Gemeinde Hohentengen a. H. als Träger des Vorhabens freuen sich, mit dem Weg ein weiteres Zeichen der Freundschaft und ausgezeichneter - auch geschichtlich verwurzelter - Zusammenarbeit zu setzen. Allein hätten jedoch beide Gemeinden den Skulpturenweg nicht realisieren können. Allen, die dazu beigetragen haben, unser Projekt zu verwirklichen, sei daher an dieser Stelle sehr herzlich gedankt.

Die Künstlerinnen und Künstler präsentieren ihre Werke eingebettet in eine malerische Landschaft beidseits des Rheins. Es ist nun an der Bevölkerung, an den Besuchern, diese Werke zu diskutieren und zu würdigen. Hierzu sind alle herzlich eingeladen.
Die Kunst lebt von der Begegnung, vom Gespräch und der Kritik. Sie soll gefallen, sie soll provozieren, sie soll Interesse wecken, sie soll Freude bereiten. Ich bin überzeugt, dass der Skulpturenweg dies alles bieten wird.
Joan Miro sagte einmal: "Wichtiger als ein Kunstwerk selbst ist seine Wirkung. Kunst kann vergehen, ein Bild zerstört werden. Was zählt, ist die Saat."

Lassen wir alle zusammen diese Saat aufgehen.
Ihr Martin Benz
Bürgermeister Gem. Hohentengen a. H.

Ihr Walter Sutter
Stadtamman Stadt Kaiserstuhl

Vorwort 

Übers Wasser - übers Land - oder Natur und Kunst

Die Geburt der Landschaft aus dem Geist von Kontemplation und Ästhetik wird bekanntlich auf das 14. Jahrhundert beziehungsweise - wenn es erlaubt ist zu pointieren - auf den 26. April 1335 datiert. An diesem Tag bestieg Francesco Petrarca gemeinsam mit seinem Bruder den Mont Ventoux, den er seit seiner Kindheit in Carpentras und Avignon stets vor Augen hatte, und erlebte - nach dem Ausweis seines Berichts - den Blick in die Natur; in den Raum seiner Umgebung erstmals als etwas Ästhetisches, als Landschaft: "Mit dieser Bergbesteigung gehört Petrarca zu den Italienern, die (wie Jakob Burckhardt sagt) zuerst in einem vom <Forschen und Wissen> unterschiedenen <besonderen Sinn> der Natur nahe traten und als die <Frühesten unter den Modernen>... die Gestalt der Landschaft als etwas mehr oder weniger Schönes wahrgenommen und genossen haben".

Die Wahrnehmung von Natur, von Landschaft als einer ästhetischen Grösse, die gesamte Landschaftsmalerei auch setzt Distanz zur, setzt zumindest eine relative Unabhängigkeit von der Natur als Objekt voraus. Solange die Natur den Menschen bedroht, solange er sich in einem existenziellen Sinn von ihr abhängig fühlt, ist er nicht in der Lage, sie als ästhetisch reizvolles Gegenüber wahrzunehmen: Die Menschen des Mittelalters, die Bauern, die beispielsweise zu Zeiten eines Rudolf von Habsburg lebten und mühsam ihr Land bebauten, um ihr Leben fristen zu können, waren nicht imstande, dieses Land als Landschaft zu sehen.
Die Elemente der Natur, Berg, Wald, Wiese, Feld etc., sind also nicht a priori <Landschaft>. Sie werden erst zur Landschaft, wenn sich der Mensch ihnen ohne praktischen Zweck in <freier> geniessender Anschauung zuwendet, um als er selbst in der Natur zu sein. Landschaft als Kunst, Landschaftsmalerei setzt die Existenz von Städten, setzt eine urbane Lebensweise, setzt die gesellschaftliche Herrschaft über die Natur voraus.

Die Land-Art des 20. Jahrhunderts geht einen Schritt weiter als die klassische Landschaftsmalerei. Bei ihr ist die Landschaft mehr als nur Sujet. Die Distanz zwischen Natur und Kunst wird von der Land-Art auf höherer Ebene aufgehoben, Natur und Landschaft werden zu integralen Bestandteilen der Kunst selbst. Land-Art visiert eine neue Synthese an, signalisiert ein neues Bewusstsein von der Natur.

Ähnliches gilt auch für den Skulpturenweg "Übers Wasser - übers Land" an der schweizerisch-deutschen Grenze: "Gleich unterhalb des aargauischen Städtchens Kaiserstuhl stehen die beiden Schlösser Schwarz- und Weiss-Wasserstelz, jenes mitten im Rhein, d. h. näher dem linken Ufer und jetzt noch von allerlei Leuten bewohnt, die es kaufen mögen, dieses zerfallen auf dem rechten Ufer. Zu den Zeiten Rudolfs von Habsburg..." Die Landschaft, die Rheinlandschaft rund um das südbadische Hohentengen und das schweizerische Kaiserstuhl begegnet bereits im Werk Gottfried Kellers und hat bis heute nichts von ihrem ursprünglichen Reiz verloren. Der neue, grenzüberschreitende Skulpturenweg am Hochrhein ist zwar kein Land-Art-Projekt im engeren Sinn, setzt er sich doch aus selbständigen Arbeiten verschiedener Künstlerinnen und Künstler zusammen; gleichwohl zielt er auch darauf ab, Kunst und Natur zusammenzuführen, Landschaft, den Fluss und sein Ufer neu erlebbar zu machen, den Blick auf eine nahezu intakte Natur zu schärfen. Kunst und Natur zu einer neuen Einheit zu verschmelzen. Zugleich soll die Perspektive auf Kunst, auf Skulpturen im öffentlichen Naturraum erneuert werden, will das Projekt zum Nachdenken über dreidimensionale Kunst heute, über den Status Quo von Skulptur, Installation und Bildhauerei, über Land-Art, über unser Verhältnis zur Landschaft, Natur und Kunst anregen. "Übers Wasser - übers Land" setzt also nicht nur auf die Wechselwirkungen zwischen Kunst und Natur, sondern ist darüber hinaus offen für einen Dialog mit dem Publikum. Gegenstand dieses Gesprächs ist nicht zuletzt die Frage nach Ort und Stellenwert von Landschaft und Natur in der Kunst - nach dem Ende der Landschaftsmalerei.

Der anvisierte Dialog ist aber zuletzt auch in einer anderen Hinsicht wichtig. Der Rhein bei Kaiserstuhl und Hohentengen prägt nicht nur die Landschaft und bildet nicht nur eine Art "Gravitationslinie" des Skulpturenwegs. Der Rhein markiert auch eine Grenze: Der Skulpturenweg am Hochrhein bei Hohentengen und Kaiserstuhl ist der erste grenzüberschreitende Skulpturenpfad überhaupt. Im Herzen Europas und doch an einer EU-Aussengrenze situiert, lädt er zu einem transnationalen Kunstspaziergang übers Wasser, übers Land ein und setzt darauf, dass die Menschen von diesseits und jenseits des Rheins in einen Dialog, ins Gespräch miteinander finden: über Kunst, über den Fluss, der uns verbindet, über den Fluss der Zeit und den Gang der Dinge. Während Gottfried Keller den Blick zurück in eine Vergangenheit lenkt, in der das Land am Hochrhein noch ein zusammenhängender Kulturraum war, animiert der neue Skulpturenweg dazu, Kunst, Kultur und Landschaft neu zu erleben, die Gegenwart und Zukunft einer Region im Zentrum Europas ins Auge zu fassen.

Ihr Dr. Jürgen Glocker
Kulturreferent des Landkreises Waldshut